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Unterlassene Hilfeleistung                                                                                                              19.08.2020

 

Um 12:45 sollte ich an der Haltestelle meines 188er Busses eintreffen, um fast gleichzeitig festzustellen, dass ich eigentlich viel zu früh dran war. „Wie lange braucht man eigentlich nach Marzahn zum U-Bahnhof Kienberg“? „Gute Frage“, dachte ich, denn genau wusste ich diese jedenfalls nicht zu beantworten, weil ich einfach zu selten schon dort gewesen war; ich sollte da jedoch aber um 15:00 sein. Also entschied ich mich erst den nächsten Bus 20 min später zu nehmen. Ich war ganz entspannt, als sich auf einmal eine jüngere Latina zu mir gesellte. Wir lächelten uns an und ich sagte freundlich „Hallo“. Es war ein warmes Lächeln, welches sie mir entgegenbrachte. Nachdem sie Ihre Handytelefonate auf Spanisch beendet hatte, fragte ich sie – nun ebenfalls auf Spanisch – ob sie auch Deutsch spräche.  „Un pocito“ entgegnete sie. Doch der Zauber war auf einmal weg. Etwas war in ihrem Gesicht, was mir nicht zusagte. Ich erfuhr zwar noch, dass sie hier in der Nähe als Putzfrau arbeitet und etwas mehr als ein Jahr in Deutschland lebt und aus Peru kommt, aber das war nur geheuchelter Small Talk, denn ich wollte ganz sicher sein, dass sie nicht mein Typ war. Da irgendwo musste Humboldt gewesen sein und in Peru am Meer gibt’s 7m hohe Wellen, dachte ich noch Im Stillen, bevor schließlich der Bus kam mit dem ich mich entschied alleine weiterzufahren. Ich setzte also meine Maske auf und stieg ein, um dann am S-Bhf. Botanischer Garten auf die S1 zu warten, die sogleich einfuhr.

Eigentlich wollte ich noch am Alex genüsslich ´ne Bratwurst beim Grillwalker essen, um dann gemütlich in die U5 einzusteigen, doch es kam anders, denn ein Kleinkind schrie während der ganzen Fahrt unaufhörlich nach seiner Mutter. Diese war vermutlich die junge Muslima, die, verschleiert und dick in einem roten Mantel eingepackt, die ganze Zeit untätig neben dem Kinderwagen stand. Blicke wurden unter den Passagieren bereits geworfen und ausgetauscht. Plötzlich riss mir der Geduldsfaden: „Beruhigen Sie doch mal das Kind!“ schrie ich durch den Waggon. Frauen guckten mich an und schwiegen. „Die macht nichts und lässt das Kind nur schreien!“, schob ich noch aufgebracht hinterher. Dann, am U-Bahnhof Yorckstraße, hatte ich endgültig die Schnauze voll und verließ mit einem grimmigen „Unmöglich!“ die S-Bahn, um in die U-Bahn zu wechseln. „Es sind ja auch immer nur Männer, die Kinder misshandeln…“ dachte ich noch aufgewühlt auf dem Bahnsteig, bis schließlich die U-Bahn kam.

Ich hatte nun meinen ursprünglichen Plan verworfen und entschied mich – im Waggon sitzend – am Mehringdamm bei Curry 36 ´ne Curry mit Pommes zu essen, die ich mit ´ner 0,5er Cola Zero runterspülen würde. Mit 5,90 war ich dann dabei, aber ich hatte nur 6. Die 10 Cent spendete ich; ein freundliches „Danke“ kam mir entgegengeflogen. Leider Plastikfingernägel.  Nachdem ich schlussendlich sämtliche Servietten im Mülleimer entsorgt hatte und noch die 25 Cent Pfand kassiert hatte, wieder runter in die U-Bahn, um am Hermannplatz in die U8 umzusteigen. Ein schwuler Motzverkäufer nuschelte – fast unhörbar – etwas vor sich hin. Ich blieb hart, aber eine ältere Dame gab ihm etwas. Also fischte ich auch 31 Cent aus dem Portemonaie, die ich in seine offene Hand fallen ließ, die ich dabei kurz berührte obwohl ich dies eigentlich gar nicht wollte, denn ich bin weder ein Arzt noch Jesus.

Endlich Hermannplatz, oben auf die U8 wartend. Nach zwei Minuten  fährt der Zug ein. Die Türen gehen auf, und die Masse quillt raus, allen voran ein weibliches Schrapnell mit blaurot kariertem Hackenporsche, den sie über die Füße eines anderen weiblichen Schrapnells – mit dicker Sonnenbrille auf der Nase – rollt. „Vernichten wie Unkraut, sollte man Euch“, zetert diese dann im Waggon mit deutlichem russischen Akzent, sich gleichzeitig direkt neben die Tür auf den Klappsitz setzend. „Und Du wärst am besten in Russland geblieben“, pfiff ich sie an. Um mich herum keine Reaktion – träge Gleichgültigkeit wabert durch den Raum.

Am Alex angekommen die Treppen hoch: „Du fette Drecksau!“, höre ich es auf einmal neben mir laut, denn es kam wohl in dem Gedränge zu einer Kollision; aber ich war gar nicht gemeint, sondern jemand vollkommen anderes. „Du bist vielleicht selbst ´ne fette Sau“, denke ich über die prollig tätowierte Unterschichtenschabracke, weil: ihr Typ war dabei und dieser war ein Kopf größer als ich. Man könnte ja selbst was auf die Fresse bekommen. „Volle Deckung“ also und ich merke, wie mich nun selbst die träge Gleichgültigkeit einlullt. Ich laufe also weiter in dem türkisgrünen, unterirdischen Labyrinth und suche verzweifelt die U5 bis ich auf einmal auf einem kleinen Schild lese:  „Schienenersatzverkehr  von Alexanderplatz bis Straußberger Platz. Abfahrt Haltestelle Alexanderstraße“. „Auch das noch“, dünkt es mir. Ich kenn´ zwar die Gontardstr., die Memhardstr und die Karl-Liebknecht-Str. – was für einen gebürtigen West-Berliner schon ganz schön viel ist – doch die Alexanderstr. war mir dann doch irgendwie zu weit östlich. Kurz entschlossen verlasse ich mitten auf dem Alexanderplatz die Unterwelt indem ich die Treppen hochkraxele dem Licht entgegen…. „Scheiße – es regnet“, konstatiere ich innerlich, und außerdem musste ich dringend pinkeln. Die Cola hat das Fass wohl zum Überlaufen gebracht. Und es ist 14:20. Also erst mal in die Galeria Kaufhof in den zweiten Stock zu den First Class Klos. Vor den Eingängen des Gebäudes liegt einer wie tot auf dem Boden im Regen. Ich schaue auf seine Schuhe und seine Fingernägel. Für mehr reicht´s nicht, denn es pressiert. Endlich Erleichterung vor der Kachelwand.  Alles wieder einpacken und schnell noch Händewaschen. Graue Tropfen fallen auf das schneeweiße Waschbecken. „Wo kommt bloß der ganze Dreck her?“, frag ich mich geistesabwesend, „ich hab´ doch gar nichts berührt“.

Jetzt noch an der Klofrau vorbei. Nein, ich gebe hier prinzipiell nichts, auch nicht, wenn diese mir ein „freundliches“ „Auf Wiedersehen“ beim Hinausgehen hinterherschickt. Doch die Klofrau war diesmal ein Schwarzer mit gelben Gummistiefeln und gelben Gummihandschuhen, die er gerade – sich herab bückend – in einen grauen Eimer mit vermutlich urinhaltigem Putzwasser eintauchte. Also lege ich ihm ein 20 Cent Stück hin, obwohl ein 50 Cent Stück nötigend auf dem weißen Teller liegt. „Danke“, höre ich ihn leise, doch befürchtete ich, dass er am Klang der Münze ihren Wert und somit den ihres ehemaligen Besitzers erkennen könnte….

Rolltreppen runter. Erdgeschoss. Jede Menge Fressen, Düfte, Rote Lippen, Brüste und vorbei an unendlich vielen Handtaschen, die auf gelangweilte aber solvente Käuferinnen warten. „Nur raus hier“, zuckt es mir durch den Kopf.

Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen. 99,9% Luftfeuchtigkeit. Schnell ein Blick ins Handy und dort auf den Regen Radar. „Es könnte – es könnte aber auch nicht“, diagnostiziere ich, und es war 14:30, und die Haltestelle des SEV´s hatte ich immer noch nicht gefunden. Ich hatte auch keine Telefonnummer. „Suboptimal“, denke ich ein wenig angesäuert. Dann richte ich meinen Blick nach oben in den Himmel, den ich eine Zeit lang nachdenklich betrachte, um folgerichtig meine Augen langsam von diesem nach rechts zum Eingang vom S-Bahnhof gleiten zu lassen, dorthin wo die Grillwalker stehen. Der Tote liegt immer noch da. Ein Passant schaut mich intensiv an. Mit einer Handbewegung frage ich ihn ob er was von mir will. Er geht weiter.  Also setzte ich mich auch wieder in Bewegung. „Eine nicht zu Dunkle mit viel Senf, bitte“. Der Pole greift die Wurst mit einer Zange, legt sie in das helle, knautschige Brötchen und schüttelt mit der anderen Hand die Senflasche mehrere Male bis sich schließlich der ganze Senf in der Düse vor dem  Anschlag befinden muss. Dann drückt er mit seinen Pranken auf die Tube. „Reicht“, sage ich zu ihm entschieden, nehme die Wurst mit dem Brötchen und dem vielen Senf und beiße schließlich kräftig hinein.